Da kann einem schon die Trübsal derrennen, wenn man dran denkt was einem abseits der großen Metropolen alles scheinbar
entgeht. Wäre ich in New York City, würde ich jeden Abend bei einer Vernissage verbringen. Ich würde meinen Kalorienbedarf
an köstlichen Buffets stillen, elegant an edlen Weißweinen nippen, zwischendurch meinen Durst mit noch teurerem Mineralwasser
stillen und eine Flut tiefsinniger Gespräche führen.
Wäre es Rom, würde ich zwischen antiken Säulen, berauscht vom üppigem Parfum der Zitrusfrüchte, zeitlosem Pianojazz
lauschen und dazu mit geschmackvoll gekleideten Menschen ebenso zeitlose Cocktails schlürfen.
Wäre es Paris würden Tage en passent verstreichen mit fruchtbaren Gesprächen mit zeitgeistigen
Schriftstellern und avantgardistischen Künstlern; zwischen Croissants und Café au Lait würde die Quintessenz der
Philosophie in meinem Leben Einzug halten und das Selbstverständnis eines kosmopolitischen Bohèmiens würde mich in abgehobene
Welten entführen, die den profanen Alltag nur als belangloses Anhängsel wahren Seins registrieren.
Bislang entspringt dieser Lebensstil nur meiner Phantasie und jene, die ich kenne und die in New York oder sonstwo leben,
erzählen mir nur vom Smog, von der Arbeit und von den Zinsen für das Vorstadthaus, die zwei Drittel ihres Monatsgehaltes
fressen. Naja, das werden wohl die Falschen sein, die ich kenne.
Meinetwegen! Bei mir rundum ist der Jazz nicht nur edel, sondern er groovt und das Wasser nicht teuer, dafür aber gut.
Auch der Kaffee mundet hier lecker und auch wenn das Croissant bei uns Kipferl heißt: mir schmeckt es! Dass auch das Leben
abseits der grossen Städte elektrisieren kann und wundersame Geschichten erzählt, vielleicht sogar die Besseren, lehrte
mich John Updike mit seinem Roman „Landleben“. Da wird der Lebenslauf des Owen McKenzie geschildert, der sein Leben
in Kleinstädten verbringt. Obwohl in der Grossstadt ausgebildet, baut er sein Unternehmen abseits dieser auf.
Es wird einem gar nicht fad bei dieser Story, ganz im Gegenteil. Die Schilderung der gesellschaftlichen Netze ist sowas von
„Sapperlot, das ist ja wie …“, dass zwischen Staunen und Nicken keine Zeit bleibt das Buch weg zu legen. Abgesehen davon,
dass der Updike sowieso ein Guru der Erzählerzunft ist, lassen einem seine Geschichten wieder ruhig werden und zufrieden;
weil man halt oft einen Umweg braucht, dass man weiß, was man hat.
Wenn schon Entspanntheit und Rhythmus angesprochen wurden, schwirrt mir auch gleich durch den Kopf, was
dieser Tage so aus meinen Lautsprechern quillt. Das jüngste Album der amerikanischen Souljazz Legende Randy Crawford,
das sie mit dem Mastermind der legendären Crusaders Joe Sample eingespielt hat relaxt ungemein. Trotzdem bringt
es die Muskeln zum Vibrieren und setzt sich beharrlich im akustischen Speicher unseres Gehirns fest. Wenn ihre Stimme fast
schwerelos „this is the end of the line“ singt, meint man, dass das genaue Gegenteil gemeint ist.
So von utopischen Traumwelten zum wirklichen Genuss bekehrt, lehne ich mich zurück und verfolge wie die Sonne täglich ein wenig stärker wird.